Zum Einstieg in das neu gegründete Projekt „SCHULE MIT COURAGE“ befragen wir unsere Sozialpädagogin Frau Pehoviak zu ihrer Einschätzung der Situation an der Tilemannschule.
Wir (Tjorven Druck und Miriam Conrad) treffen uns mit ihr am Montag, den 15.03.2021.
- Einleitung
Miriam:
Seit Neuestem gibt es ein von Herrn Tobor geleitetes, langfristig angelegtes Projekt: „SCHULE MIT COURAGE“. Es geht darum, gegen jede Form von Diskriminierung an der Tilemannschule vorzugehen, also z.B. gegen Sexismus, Klassismus, Rassismus, Homophobie und alles, was damit zusammenhängt.
Zum Einstieg erscheint es uns sinnvoll, uns erst einmal einen Eindruck von der Situation zu verschaffen, weshalb wir Sie als Schulsozialpädagogin interviewen.
Tjorven:
Wie lange sind Sie denn jetzt schon an der Schule?
Frau Pehoviak:
Seit zehn Jahren. Davor habe ich auch etwas an anderen Schulen gemacht.
Tjorven:
Wie nehmen Sie das Thema „Diskriminierung“ an der Schule in diesen zehn Jahren wahr, auch im Vergleich zu anderen Schulen, die Sie kennen gelernt haben?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, es wird bewusster. Dadurch, dass es thematisiert wird. Dadurch, dass es kein Tabuthema mehr ist, achtet man besonders darauf und geht es offensiver an als vorher.
Tjorven:
Woran, denken Sie, liegt es, dass solche Themen mittlerweile weniger tabu und mehr öffentlich sind?
Frau Pehoviak:
Durch die Medien, denke ich. Dadurch, dass Dinge benannt werden, die vorher einfach unter den Teppich gekehrt wurden.
Miriam:
Sie sehen da also einen positiven Verlauf. Wie könnte da unser Projekt ansetzen?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, es wichtig, dass, egal was es ist, sei es Homophobie, Rassismus oder Klassismus, die Dinge beim Namen genannt werden müssen. Dass es okay ist, unterschiedlich zu sein.
Man erreicht sehr viel durch das Gespräch, durch Erklären einer Situation, um die Angst zu nehmen. Durch ein Interview, durch euer Projekt, durch das Zusammenkommen von interessierten Schülern, durch das Weiterverbreiten, was euch bewegt.
Tjorven:
Meistens sind es Schüler, die mit Problemen wie rassistischen Bemerkungen zu Ihnen kommen, aber diese Probleme betreffen alle, auch die Lehrerschaft. Wie nehmen sie den Kontrast zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen wahr?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, gerade bei jungen Schüler:innen ist es schwierig, von so etwas wie Rassismus, Homophobie, etc. zu sprechen. Sie sagen viele Sachen, ohne sich dabei bewusst zu machen, was sie da sagen.
Wenn solche Ausdrücke allerdings von einem Erwachsenen oder von einem älteren Schüler kommen, erwarte ich, dass dieser weiß, wovon er spricht. Das ist der große Unterschied: dass Erwachsene das bewusst machen, wohingegen Kinder einfach irgendwelche Ausdrücke verwenden, die andere verletzen sollen.
Miriam:
Wie sehen Sie das speziell an der Tilemannschule? Also gerade bei der Lehrerschaft, wie ist da die Atmosphäre, gibt es da den Dialog, wird darüber geredet oder diskutiert? Oder sind solche Themen tabu?
Frau Pehoviak:
Es wird im Lehrerzimmer nicht offen darüber diskutiert, aber bei entsprechenden Vorfällen oder Tendenzen werden schon Einzelpersonen angesprochen. Also das Thema wird nicht übergangen, mittlerweile gibt es immer mehr Lehrkräfte, die sich dann dafür einsetzen und das klären.
Tjorven:
Denken Sie, Diskriminierung im Allgemeinen ist ein großes Thema an unserer Schule?
Frau Pehoviak:
Nein, gerade im Moment nicht, gerade auch wegen der Corona-Situation stehen ganz andere Themen im Vordergrund.
Miriam:
Wie würden Sie das im Vergleich zu anderen Schulen einschätzen, von der Problematik her?
Frau Pehoviak:
Ich höre momentan sehr wenig von anderen Schulen. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass an anderen Schulen mehr darüber diskutiert wird.
Tjorven:
Hat die Tilemannschule da ein bestimmtes Image unter der Elternschaft?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, dass die Tilemannschule da einen ganz guten Ruf hat. Also dass solche Themen auch abseits vom reinen Lernen angesprochen werden und Lehrer:innen engagiert sind.
Miriam:
Sie stehen sehr häufig in Kontakt mit Schüler:innen, z. B. bei Gesprächen über persönliche Probleme oder Buddy-Stunden für die jüngeren Klassen. Wie kommen die Schüler:innen während dem Homeschooling auf Sie zu?
Frau Pehoviak:
Ich werde oft angeschrieben, per Handy oder per Mail.
Tjorven:
Und sind die Probleme die gleichen wie vor Corona?
Frau Pehoviak:
Es ist unterschiedlich, je nach dem, welche Probleme das sind. Probleme aus dem häuslichen Bereich haben sich durch den Lockdown in der Regel intensiviert, schulische Probleme treten durch den Distanzunterricht eher in den Hintergrund. Soziale Konflikte haben sich mehr ins Digitale verlagert.
Tjorven:
Kommen wir zum ersten Schwerpunkt, nämlich Klassismus. Das ist ja ein relativ neuer Begriff, wie würden sie ihn jemandem beschreiben, der ihn nicht kennt?
Frau Pehoviak:
(kurze Pause) Ich glaube, ich würde ihn ähnlich der Situation in Indien beschreiben, wo man Menschen in Klassen einteilt, wo Menschen höherer Klassen quasi „besser“ sind als Menschen niederer Klassen (bezogen z. B. auf materiellen Reichtum und Besitz, Nahrungskette o. Ä.).
Tjorven:
Ich kann mir vorstellen, dass gerade während der Pandemie, im Homeschooling, diese Klassenunterschiede zwischen den Schülern sichtbarer und auch problematischer werden. Zum Beispiel weniger technische Möglichkeiten, für die man sich eher schämt (Frau Pehoviak nickt zustimmend), als um Hilfe zu fragen. Wie würden Sie die Situation mit unserer durch die Pandemie sensibilisierteren Wahrnehmung beschreiben?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, in erster Linie muss überhaupt einmal das Bewusstsein geweckt werden, dass nicht jeder über dieses technische Equipment verfügt. Auch dass jeder ein eigenes Zimmer und seine Ruhe hat, ist nicht selbstverständlich. Ich denke aber, mittlerweile ist das auch angekommen und es gibt entsprechende Möglichkeiten, die Schüler:innen dabei zu unterstützen. Zum Beispiel werden Dokumente als Briefe geschickt und mobile Endgeräte werden zur Verfügung gestellt. Scheinbar ist jetzt endlich bei den meisten angekommen, dass bestimmte Voraussetzungen nicht überall gegeben sind.
Tjorven:
Und könnten Sie sich vorstellen, dass solche Unterschiede aktiv zu Mobbing beitragen?
Frau Pehoviak:
(Pause) Wenn ja, dann ist es eher etwas, was zu anderen Dingen hinzukommt, was einen weiteren Angriffspunkt bietet, was aber nicht den Auslöser für Mobbing darstellt. Hoffe ich zumindest!
Miriam:
Wie sehen Sie das bezogen auf „typische Statussymbole“ wie Handy, Markenklamotten, etc., vor und während der Pandemie im Kontrast?
Frau Pehoviak:
Ich denke, solche Dinge spielen nach wie vor eine große Rolle. Nur weil man sich nicht sieht, heißt das nicht, dass man diese aus dem Fokus verliert.
Tjorven:
Können Sie sich vorstellen, dass sich durch Corona etwas verändert?
Frau Pehoviak:
Ich hoffe, dass es sich zum Positiven verändert. Und dass es dann auch ein bisschen anhält.
Tjorven:
Wie würde diese Veränderung genau aussehen, z.B. an der Tilemannschule?
Frau Pehoviak:
Dass man wertschätzt, dass man einander wieder sieht, dass die anderen einfach wieder da sind, dass das Ende der Isolation und damit das Miteinander geschätzt wird. Und dass das das Verhalten verändert. Dass man dadurch toleranter ist. Ich weiß nicht, ob es so ist, und wenn ja, wie lange es anhält.
Miriam:
Dann würden wir zum Schwerpunkt Rassismus übergehen. Wie schätzen Sie da die Situation ein? Ist verbaler Rassismus jetzt vermehrt digital zu finden? Wie kann man sich das vorstellen?
Frau Pehoviak:
Ich denke schon, dass Rassismus im digitalen Bereich zunimmt, besonders in (WhatsApp-)Gruppen, unpersönlich, man sieht sich dabei nicht. Wie gesagt ist das bei jüngeren Schüler:innen unbewusster als bei älteren, die eigentlich wissen, was sie sagen und meinen.
Was ich oft mitbekomme, sind Kommentare oder Bemerkungen in (WhatsApp-) Gruppen, die zwar gelesen, aber kurz danach gelöscht werden.
Miriam:
Also werden Worte praktisch wieder zurückgenommen. Würden Sie den vorhandenen Rassismus eher als unbewussten, unterschwelligen oder eher als offenen, bewusst angreifenden Rassismus beschreiben?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, es gibt beides. Es gibt sowohl dieses Unterschwellige, was man vielleicht hinterher wieder zurücknehmen möchte, als auch das Gezielte, um den anderen zu verletzen.
Miriam:
Was würden Sie sagen, in welchem Ausmaß das jeweils stattfindet?
Frau Pehoviak:
Das ist eine schwierige Frage… Das abzuschätzen ist nicht leicht, ich kriege ja nicht alles mit. Ich bekomme mal Einzelfälle mit, die mich auch sehr erschrecken. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß ich nicht.
Tjorven:
Seit letztem Jahr geht die „Black-Lives-Matter“ nicht nur durch die amerikanische Gesellschaft. Ist da etwas bei den Schüler:innen hängengeblieben?
Frau Pehoviak:
Wie gesagt, ich habe das Gefühl, das wird alles bewusster. Speziell der Fall von George Floyd wurde im Lehrerzimmer thematisiert, da war man sich einig, dass das sehr verwerflich ist, was da passiert ist. Dass das nicht passieren darf, aber es dennoch passiert. Unter älteren Schüler:innen war es schon Thema, auf jeden Fall. Bei den jüngeren… der ein oder andere wusste es und hat es dann mal kurz gesagt.
Tjorven:
Denken Sie, dass durch diese Debatte langfristig etwas hängen bleiben wird?
Frau Pehoviak:
(zuversichtlich) Ja, ich glaube schon. Ich hoffe sehr. Ich habe schon den Eindruck, dass man viel sensibilisierter ist. Und auch mehr darauf achtet. Dass es überhaupt in unserer Gesellschaft Rassismus gibt, ist mehr in unser Bewusstsein gerückt.
Tjorven:
Was, denken Sie, sind die positiven und negativen Aspekte dieser Konfrontation mit solchen Themen durch Medien, gerade bei jungen Menschen? Kann man Fünftklässlern diese Konfrontation zumuten?
Frau Pehoviak:
Das Positive ist, dass es publik wird! Das Negative daran ist, dass sich da natürlich auch wieder Gruppierungen bilden, die dagegen sind, die analog nicht so einfach zustande kämen wie im Netz.
Ich denke, dass die Kinder schützenswert sind, in vielen Bereichen. Sie werden mit vielen Dingen konfrontiert, die sie nicht verarbeiten können. Das heißt nicht, dass man sie nicht konfrontieren soll, aber man muss sie dabei begleiten.
Miriam:
Das ist ja gerade an diesem Punkt schwierig, wo jeder praktisch seinen eigenen Internetzugriff hat und dadurch oft unkontrolliert mit Informationen konfrontiert wird, wo man kaum eingreifen und Einfluss nehmen kann, um die Kinder mit schwierigen Themen zu begleiten.
Frau Pehoviak:
Ich erinnere mich besonders an den „Axtmörder“ hier in Limburg, als dieses Video überall herumging. Da bin ich in einzelne Klassen gegangen, um zu thematisieren, was sie da gesehen haben. Weil viele wissen, dass das falsch ist, dass sie das eigentlich nicht sehen wollen, nicht sehen sollen, aber es eben doch tun, um vielleicht nicht als Feigling zu gelten. Gerade in solchen Fällen ist es eigentlich wichtig, dass die Kinder auf eine kindliche Art und Weise an die Themen herangeführt werden. So, dass sie es begreifen können.
Tjorven:
Es gibt ja beispielsweise Klassenbuddy-Stunden, würden Sie sagen, dass diese zur Begleitung der Jüngeren geeignet sind? Oder muss man da anders …
Frau Pehoviak:
(unterbricht) Da muss man ganz anders drangehen! Wenn man an die Themen dran will, über die Themen reden will, muss man das in einem ganz anderen Rahmen machen. Ich denke, so etwas müsste im Rahmen von Ethik- oder Religionsunterricht besprochen werden, vielleicht auch im Deutschunterricht… Oder auch in einer Stunde mit mir, das müsste ganz anders besprochen werden. Ich schätze die Klassenbuddys wirklich sehr, aber mit einem solchen Themenbereich müssten auch wir erst einmal fertig werden, bevor wir den Dialog suchen.
Tjorven:
Als nächstes würde ich gerne über das Thema Homophobie sprechen. Viele meiner Freunde sind Teil der LGBTQ+ Community und sind lesbisch oder bisexuell. Früher hatte ich nie das Gefühl, dass besonders viele Leute aus der Tilemannschule Teil der Community sind, aber dann habe ich immer mehr Leute kennengelernt. Können Sie grob einschätzen, wie viele Leute hier an der Schule Teil der Community sind?
Miriam:
Vielleicht können Sie einschätzen, in welchen Jahrgangstufen sich dieses Bewusstsein entwickelt, was dann auch dafür sorgt, dass die Leute dazu stehen.
Frau Pehoviak:
Ich glaube, das Bewusstsein kommt ab Jahrgangsstufe sechs. Zumindest gibt es da die ersten, die das auch thematisieren. Ich glaube, das geht bei einigen relativ früh los, dass man sich damit auseinandersetzt. Ich kann mir vorstellen, dass es ein großer Teil der Schülerschaft ist und je älter ihr werdet, umso mehr wird einem das ja auch bewusst.
Tjorven:
Bei mir was es früher in der Mittelstufe so, dass mir die öffentliche Beziehung von einem lesbischen Paar aus der Oberstufe sehr viel Mut gemacht. Es hat mir sehr geholfen, so etwas zu sehen und ich hatte nicht zwingend das Gefühl, dass sie offen Homophobie erfahren haben. Als ich dann aber selbst in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung war, ist mir aufgefallen, dass diese unterschwellige Homophobie immer noch sehr stark ist. Man wird nicht offen darauf angesprochen, aber diese Blicke, die man zugeworfen bekommt, sorgen schon für eine unangenehme Atmosphäre. Kann man an unserer Schule offen Teil der Community sein oder wie würden Sie das einschätzen?
Frau Pehoviak:
Ich würde mir wünschen, dass man es offen sein kann. Ich kann mir vorstellen, dass viele sehr unsicher mit dem Umgang sind. Ich glaube, dass die wenigsten das in Ablehnung ausdrücken würden, sondern dass diese Unsicherheit eine große Rolle spielt.
Tjorven:
Im Zuge unseres Projekts werden wir einige Informationstexte, zum Beispiel Erfahrungsberichte zu dem Thema schreiben, damit darüber aufgeklärt wird und es vielleicht etwas normaler wird und die Unsicherheit abnimmt. Denken Sie, dass das Projekt dafür sorgen könnte, dass manche Schüler:innen sich wohler in ihrer Haut fühlen werden und bereiter sind, sie selbst zu sein?
Frau Pehoviak:
Ich denke, das würde sehr dazu beitragen. Ich denke nicht, dass große sprunghafte Veränderungen von heute auf morgen kommen werden, aber ich glaube, dass es als Thema immer wieder auftaucht und darüber gesprochen wird. Dass es okay ist und so sein darf, dass Menschen homosexuell, bisexuell oder heterosexuell sind. Ich glaube, bei vielen steckt Angst dahinter, Angst um die eigene Identität, die ja gerade auch in der Pubertät nochmal eine große Rolle spielt. Schließlich ist man ja in dieser Zeit am Suchen, wer man denn eigentlich ist. Daist es ja nochmal extremer als überhaupt. Zu Toleranz gehört eben auch, dass man Dinge toleriert, die anders sind als „Ich“.
Tjorven:
Ich denke, Homophobie ist noch sehr stark in vielen Köpfen verankert und da kann man nicht zwingend etwas dafür, weil das auch viel mit Erziehung zu tun hat, allerdings sollte man im Laufe des Lebens anfangen, reflektierter zu denken und zu handeln.
Was, denken Sie, haben die Lehrer:innen für einen Einfluss? Sollten sich die Lehrer:innen mehr gemeinsam mit den Schüler:innen damit beschäftigen?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn das Thema Homophobie auch nochmal gesondert bei Lehrer:innen besprochen wird. Denn Lehrer:innen sind ja nicht anders als andere Menschen auch und ich glaube, dass diese Angst und diese Unsicherheit und dieses„Nicht-Wissen“, wie man damit umgeht, auch bei Lehrern vorliegt, natürlich.
Miriam:
Wir würden jetzt auch noch das Thema Sexismus ansprechen. Ich persönlich finde es schwierig zu erfassen, denn es gibt zum einen die „populären“ Sexismus Erfahrungen im Beruf und der Gesellschaft an sich, aber wie kann man das auf die Schule übertragen, ohne zu sagen, dass die Schule selbst daran schuld ist und es sich eher um ein gesellschaftliches Problem handelt? Wo sehen Sie sexistische Strukturen im Schulalltag?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, die sind querbeet vertreten, überall. Das fängt schon im Kindergarten an, bis ins Alter.
Miriam:
Oft wird es ja nur im erwachsenen Alter angesprochen. Wie, denken Sie, könnte man schon früher damit anfangen, daran zu arbeiten, aufzuklären und ein Bewusstsein dafür entwickeln?
Frau Pehoviak:
Es wird ja schon im Kindergarten viel gemacht, zum Beispiel, dass die Jungs auch mit Puppen spielen und nicht mehr nur rosa und hellblau gekleidet wird. Ich glaube, da sind schon viele Sachen in den letzten Jahrzehnten passiert. Allerdings ist das auch etwas, was bewusster besprochen werden muss, um die Angst davor zu nehmen. Es geht bei allen Themen ja darum, dass jemand aus irgendeinem Grund in seiner Identität herabgesetzt wird, verletzt oder nicht respektiert wird. Ich glaube, dass dieses „Toleranzhaben“ gegenüber Menschen, die anders sind, das ist, was all dem zu Grunde liegt. Einfach Respekt voreinander haben.
Miriam:
Dass sexistische Strukturen schon im Kleinkindalter anfangen, ist Fakt. Mich würde interessieren, wie das Bewusstsein dazu in der Schule ist. Inwiefern beschäftigen sich die Schüler:innen und auch Lehrer:innen mit dem Thema noch während der Schulzeit?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, dass das im Lebensalltag eine große Rolle spielt und die Erwachsenen versuchen, alle gleich zu behandeln. Einen Vorwurf, den ich schon sehr oft gehört habe, ist zum Beispiel, dass in der Schuledie Mädchen bevorzugt und die Jungs benachteiligt werden. Und obwohl diese Wahrnehmung schon so da ist, muss damit noch offensiver umgegangen werden. Es muss klarer benannt werden.
Miriam:
Sexismus ist sehr unterschwellig und deswegen nehmen ihn viele nicht so bewusst wahr und hinterfragen ihre Handlungen nicht. Wie großwürden Sie die Bereitschaft einschätzen, sich selbst Fehler einzugestehen und sich vorzunehmen, daran zu arbeiten?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, dass man mittlerweile in Bezug auf Homophobie wacher ist als in Bezug auf Sexismus. Und die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, hat sehr viel mit der Persönlichkeit zu tun. Es gibt Menschen, die denken, dass sie alles richtig machen und gehen sofort in die Offensive, wenn man Kritik äußert, aber genauso gibt es andere Menschen, die viel kritikfähiger sind.
Tjorven:
Das finde ich interessant. Sie haben gesagt, dass das Bewusstsein bei Homophobie größer ist als bei Sexismus. Woran liegt das?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, das liegt daran, weil es einen viel größeren Raum in der Öffentlichkeit einnimmt. Es kommt immer darauf an, welche Themen man in der Öffentlichkeit bespricht und dann lässt man vielleicht ein anderes Thema beiseite. Mein Eindruck ist, dass das Thema „Homophobie“ ein sehr häufig diskutiertes Thema in den Medien warund ist, dadurch hat es einfach mehr Gewichtung bekommen. Das Thema „Sexismus“ wurde dadurch vielleicht etwas zurückgestellt. Das ist meine persönliche Wahrnehmung.
Tjorven:
Ganz am Anfang haben Sie gesagt, dass viele Schüler ihre Erlebnisse und Gefühle beschreiben, es aber noch nicht mit so Begriffen wie „Rassismus“ oder „Homophobie“ benennen können. All diese Themen haben natürlich Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Schüler:innen, wie stark ist dieser Einfluss von zum Beispiel homophober Bemerkungen auf die mentale Gesundheit heutzutage?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, auf der einen Seite stärker als früher, weil man sich mehr damit auseinandersetzt, auf einer anderen Ebene aber auch schwächer als früher, weil man sich eben damit auseinandersetzen darf.
Miriam:
Mentale Gesundheit wird ja auch oft noch stigmatisiert und ist meist ein Konfliktpunkt, weil es oft von vielen nicht als etwas Legitimes anerkannt wird. Wie würden Sie die Offenheit der Schulgemeinde in diesem Themenbereich einschätzen?
Frau Pehoviak:
Ich glaube, auch in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren viel verbessert. Wenn man ein gebrochenes Bein hat, sieht jeder, dass du krank bist, und damit ist das ganz leicht zu akzeptieren, dass man nicht rennen kann. Wenn man Angst hat zu fallen, weil man schlechte Erfahrungen oder Ähnliches gemacht hat, dann wird das für eine Weile akzeptiert, aber dann gerät es in Vergessenheit, weil man es einfach nicht sehen kann. Viele mentale Probleme sind einfach nicht sichtbar und ich glaube, dass es Krankheitsbilder gibt, die man als Außenstehender nicht greifen kann. Ich meine, dass da heutzutage viel mehr getan wird und sich einiges bewegt hat. Zumindest hier an der Schule.
Tjorven:
Wir wollen ja mit unserem Projekt all diese Themen ansprechen und aufklären, damit sich noch mehr tut. Was wäre ein grundsätzlicher Tipp, den sie uns noch mit auf den Weg geben würden?
Frau Pehoviak:Ein grundsätzlicher Tipp von mir wäre, dass man Dinge, die einen bewegen, ehrlich anspricht. Es ist ganz wichtig, ehrlich zu kommunizieren. Wenn man Dinge anspricht, weil sie einem am Herzen liegen, kommt man am besten dran, weil man nicht von oben herabkommt, nicht belehrend, sondern erklärend. Die Grundlage von allem ist, einander zu respektieren und zu tolerieren. Man muss akzeptieren können, dass nicht alle Menschen so sind wie ich und dass alle eine Daseinsberechtigung haben.
Miriam:
Genau das ist das Ziel des Projekts „SCHULE MIT COURAGE“: Dass man den Dialog, die Kommunikation aufrechterhält und aufklärt. Dass man über die Dinge redet.
An dieser Stelle möchten wir uns sehr für ihre Zeit bedanken. Danke vielmals, dass Sie mit uns gesprochen und uns einen interessanten und informativen Einblick aus Ihrer Sicht gegeben haben.
Frau Pehoviak:
Immer gerne! Ich finde das toll, dass ihr das macht.